Sonntag, 27. Oktober 2013

Das Fenster

Es war einmal ein Kind.
Es gibt einen Ort, an dem sind die Bilder aus nunmehr 67 Jahren. 67 Jahre wechselten sich Winter und Frühling, Frühling und Sommer, Sommer und Herbst, Herbst und Winter ab.
Es war einmal ein Kind, das ging in einen fensterlosen Raum. Der Raum hatte Wände und Fußboden und Decke mit elektrisch Licht. In der Mitte standen Farbtöpfe auf einem langen, schmalen Tisch und es lagen Pinsel, viele Pinsel, deren Spitzen schon Farbe hatten, ein jeder Pinsel die Farbe des Farbtopfes, in dessen Nähe er lag. Die Wände des Raumes waren mit Papier bespannt und das Papier war bunt von allen Farben. Das Kind fand in dem Raum einen freundlichen Mann, von dem ließ es sich ein leeres Blatt an die Wand heften, währendessen suchte es sich eine Farbe aus. Die Pinsel waren alle recht groß und wie die Spitze des Fuchsschwanzes geformt. Sie verrieten, zu welcher Farbe sie gehörten, es war nicht nötig, sie auszuwaschen.
Es gibt einen Mann, der hütet einen Ort, an dem er seit nunmehr 67 Jahren Bilder sammelt. 67 Jahre, ich habe mir das ausgerechnet von der Jahreszahl 1946 an.
Es war einmal ein Kind in einem Raum ohne Fenster, das durch ein Fenster sah, welches in ihm offenstand, hinaus zu sehen. Das Kind malte, was vor dem Fenster auftauchte. Es malte, worin es eintauchte, worin es schwamm oder flog. Dabei flogen die Farben von den Pinseln, mit denen das Kind malte, auch über das Blatt hinaus auf die bunten Wände.
Es gibt einen Raum, an dessen Wänden wechseln sich die Farben ab und die Kinder, seit Jahren ist das schon so, und ein freundlicher Mann hält diesen Raum offen und die Farben in den Farbtöpfen feucht und legt immer genug Pinsel bereit.
Es war einmal ein Kind, das ließ ein Bild zurück an der Wand, an der es gemalt worden war. Eine bunte Wand, an der viele Farben von unzähligen gemalten Bildern zeugten. Ein Mann, der zum Raum gehörte wie die Farben und Pinsel auch, der nahm das Bild von der Wand. Das Kind war schon aus dem Raum hinaus, er hatte versprochen, das Bild für es zu bewahren. Da kam das Kind noch einmal in den Eingang zum Raum und verabschiedete sich von dem Mann.
Es gibt Bilder, unendlich viele. Manche von ihnen werden gemalt, das sind sehr viele. Bilder haben Kraft. Es gibt Bilder, die werden gemalt und geben ihrer Malerin vielmal soviel Kraft, als wären sie nicht gemalt worden. Es gibt andere Bilder, die lassen den Maler zurück mit einer Kraft, die anders als durchs Gemaltwerden schwerlich frei geworden wäre.
Es war einmal ein Kind, das kam aus einem fensterlosen Raum, und es würde sich bald wieder in jenen Raum begeben und aus dem Fenster schauen.

Quellen der Inspiration:

Der Film Alphabet (2013) Regie Erwin Wagenhofer

Der Malort von Arno Stern.

Der Malort Mitte in Berlin Mitte.

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Labyrinth

Kretisches Labyrinth (der Weg)
Den Weg des Kretischen Labyrinths zu beschreiben. Ein Tanz, ein Reigen, ein schneller, verwirrender Lauf. Verwirrend, weil er nicht ohne Aufenthalt zum Ziel führt. Der Weg selbst hält den Läufer auf, fängt ihn ein in Kreisen und Schleifen und geleitet ihn doch sicher und ohne Irrweg. Der Reigen nähert sich der Mitte und entfernt sich wieder. Die Tanzenden, mal sind sie innen, mal außen. Faszinierend ist es, den Stift zu führen und mit dem Finger das Gemalte nachzufahren. Beim Laubharken glaube ich, mehr und mehr zu verstehen, und bin am Ende doch wieder am Anfang und frage mich, wie das gehen kann. Sooft ich den Weg gehe, ist es so.

Kretisches Labyrinth in Laub um einen Baum

Vorstadtgefühle

Eine Buchempfehlung für Geschichten aus der Vorstadt des Universums.

Wer sich die hohen Mieten im Zentrum nicht leisten kann und auch kein Geld hat, außerhalb zu wohnen, der landet in dem Gürtel aus Häusern und Behausungen, der sich an die äußersten Stadtteile lagert. Weder Land noch Stadt, nicht Fisch und nicht Fleisch.

Ich wünsche mir, ein Vogel zu sein, und ich werde als Pinguin wiedergeboren.So ungefähr muss es sich anfühlen, in der Vorstadt aufzuwachsen.

Das Buch kommt mit harmlosen Geschichtchen eines Menschen daher, der in seinem Vorstadtalltag nicht viel zu sehen bekommen hat. Deshalb blühen die Geschichten und die Bilder dazu vor Fantasie. Wie sich der Kopf in einer Wüste aus Sand oder Wasser Land und Landschaften vorspiegeln kann, so flüchtet er sich angesichts der Tristesse der Vorstadt in Scheinwelten oder ins Paranormale. Den Vorstadtgeschichten aber, werde ich mit dieser Erklärung nicht gerecht. Hier flüchtet niemand, hier baut sich niemand ein Märchenland und will von der Außenwelt nichts wissen. In den Vorstadtgeschichten existiert die Vorstadt immer noch und bildet kargen Boden für die Pflanze Mensch, die mit ihren Wurzeln weitere Nahrungsquellen sucht. Die Vorstellungskraft wird eine wichtige Quelle und Mensch entwickelt sich so zu jemandem, der ganz offen ist, für die Welt da draußen. Seine Ideen haben Kraft.

Denken, was ein Wasserbüffel denkt. Aus der Perspektive des Austauschschülers sehen. Sich den Fragen stellen, die ein geisterhafter Stockmensch mit einem Erdklumpen als Kopf an uns hat.

Der Buchtitel wird wahr und nachvollziehbar: die Häuser und Straßen der Kindheit und Jugend sind nicht Teil irgendeiner gewöhnlichen Stadt, welche dann auch nur begrenzt und eng ist, sondern Vorstadt des Universums. Unendlichkeit, Unbekanntes, Entferntes, Unentdecktes, Großzügigkeit und Weite, Alleins.

Die Geschichten inspirieren und bald stoße ich auf das Universum in mir. Zehn, neun, acht, sieben ...

299.792

Shaun Tan (2008) Geschichten aus der Vorstadt des Universums. Hamburg