Freitag, 21. November 2014

Donnerstag, 20. November 2014

Wir sind nicht allein im All

I. Sie erzählen mir also von dem Obdachlosen, wie sie sagen. Ich höre die Geschichte zum dritten Mal. Beim ersten Mal war ich abgelenkt gewesen, beim zweiten Mal aber hatte ein Detail meine Aufmerksamkeit erregt und sie - welche von Beiden? - hatte es mir nochmal erzählen müssen. (Die Jüngere könnte es gewesen sein.) Ihre Beschreibung des Mannes war zusammengestückelt. Ich erinnere mich, die Geschichte auf jene zerstückelte Weise kennengelernt zu haben. Löcher. Der ganze Anzug löchrig, als wäre er ein Kleiungsstück aus dem Müll. Löcher an den Sohlen. Er trug keine richtigen Schuhe. Das war der Anzug. Der Anzug ging um die Füße. Ein altmodischer Raumanzug, ergänzt die Ältere. Er hätte gut in ein Museum gepasst. Er wollte die Fahrausweise sehen. Das war kein Schauspieler. Eher war es ein Obdachloser. Wieso? Na, weil er so aussah. Weil er überall Löcher hatte.

II. Ich denke mir, so ein Raumanzug kann ziemlich mitgenommen aussehen nach der Landung. Und ich denke mir weiter, wäre er kein Schauspieler, sondern ein Alien, dann hätten wir ihn höchstwahrscheinlich nicht als solchen erkannt, weil wir ja nicht wissen, wie ein Alien aussieht. Weil wir das nicht wissen können, weil wir ja noch nie einen gesehen haben. Jedenfalls nicht bewusst. Uns könnten also schon Außerirdische begegnet sein, jedem von uns könnte das passiert sein. Eine außerirdische Lebensform, die einen Raumanzug trägt, der von der Landung ganz zerschrabbt ist, würden wir für einen Schauspieler halten oder für einen Obdachlosen. Die U-Bahn wäre ein beliebtes Verkehrsmittel für Außerirdische, die sich auf unsere Erde verirren. Per U-Bahn können sie abkürzen und müssen nicht außen um den ganzen Ball. Auch deshalb finde ich die U-Bahn gut.

III. Wenn die Geschichte nicht so lange her wäre, würde ich gar nicht über sie schreiben.
Als sie noch frisch war, gerade ereignet, frisch erzählt, sah ich mich überrumpelt. Ich fühlte mich genötigt, mein Weltbild in einer Hauruckaktion umzubauen, so dass darin auch Jemand Platz hatte, der im Raumanzug die U-Bahn betritt. Meine Weltbilderneuerung funktioniert wie Selbsthypnose. Am Ende des Umbauprozesses, nehme ich es für vollkommen gewöhnlich hin, was mir vorher noch neu gewesen war. Wenn beim nächsten Mal ein Alien meinen Fahrausweis sehen will, dann bin ich darauf vorbereitet und zeige den Ausweis, den ich immer bei mir trage, einfach vor. Vielleicht erkläre ich noch, wo es den zu kaufen gibt und wie weit man damit kommt. Naja.
Jedenfalls wirft die Geschichte erst im Nachhinein Fragen bei mir auf. Ich glaube sie kaum mehr und will mich auch nicht an sie gewöhnen, und nur darum bin ich in der Lage, sie aufzuschreiben. Sie ist eine wahre Geschichte und ich will aus ihr lernen. Ich glaube, sie birgt eine Chance. Ich sehe mich in der U-Bahn, in einer dieser schlauchartigen, in denen man längs des Ganges zu vielen nebeneinander sitzt, und höre, was der Nachbar sagt.
"Die Löcher, sieh nur die ganzen Löcher."